In unseren Herzen sind wir mindestens Teilzeitköniginnen. Aktion Mensch erlaubt es uns, UNESCO-Welterbestätten über Zutrittsrechte unserer tierischen Hilfsmittel aufzuklären und mit den Verantwortlichen über denkmalspezifische Barrieren ins Gespräch zu kommen. Da lag es sehr nahe, dass wir uns für unseren Pfotenpiloten-Jahresworkshop in Schloss Corvey einquartieren. Ja, naja, nicht im Schloss direkt, sondern im Aktivhotel in der Schlossanlage. Sagen wir mal so, den historischen Prunk in Sichtweite und die Robustheit alter Gemäuer um uns herum.
Ach, und nebenan stand die Landesgartenschau kurz vor der Eröffnung. Da lohnte es sich, die Veranstalter im Vorfeld ebenfalls für das Thema Zutrittsrechte zu sensibilisieren.
Barrierearme Weltkulturerbestätte
Warum sich diese Welterbestätte unbedingt lohnt? Schloss Corvey bietet das älteste karolingische Westwerk, eine beeindruckende Kirchen- und Klosteranlage, einen Friedhof mit dem Grab von Hofmann von Fallersleben und eine herzögliche Residenz mit ansehnlicher Bibliothek.
Barrierefreiheit ist trotz des Denkmals kein Fremdwort. Vom Johanneschor im Westwerk abgesehen sind alle Gebäudeteile mit Rollstuhl zugänglich. Wer allerdings nicht gut zu Fuß ist, sollte sich einen Tragehocker an der Kasse ausleihen, denn Sitzgelegenheiten fehlen. “Blinden- und Behindertenbegleithunde” konnten laut Website mit in die Ausstellungsräume genommen werden. Aufklärung nicht nötig – dachten wir.
Assistenzhund willkommen – Assistenzhunde nicht?
Als wir eine Führung buchen wollten, staunten wir nicht schlecht: Ein Assistenzhund ginge, so die Dame im Vorverkauf, aber nicht mehrere. Ratlosigkeit machte sich breit. Was soll denn an mehreren Assistenzhunden anders sein? Unsere liegen selbst zu siebt brav nebeneinander und machen sonst ihren Job. In der Vorbereitungsgruppe schrieb jemand: “Ich vermisse Augenhöhe.” Augenhöhe bedeutet für uns, sich über mögliche Bedenken auszutauschen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen –weil es ein selbstverständliches Anliegen sein sollte, Kultur allen zugänglich zu machen: Auch wenn dazu ein Assistenzhund gehört. Auch wenn zwei oder mehr AssistenzhundhalterInnen gemeinsam einen Ausflug machen. Was wir schwierig finden, ist eine Barriere zu formulieren und dann erst einmal die Kommunikation einzustellen. Das erzeugt Ohnmacht bei den Betroffenen.
Es passiert uns häufig, dass Menschen wenig wissen über Assistenzhunde oder ihre Vorstellungen überlagert werden von Negativerfahrungen mit schlecht sozialisierten Hunden aus der Nachbarschaft. Aber dann reden wir. Und unsere Vierbeiner vor Ort sind das beste Argument. Manches Mal mussten schon gemeinsame Lösungen gesucht werden, um Assistenzhunden einen Zutritt zu ermöglichen, wo es das Denkmal einem erst einmal schwer machte. Wir trugen in uns die Gewissheit, dass man Lösungen findet und uns als Gäste der Kulturstätte wertschätzt.
Nachdem wir für mehrere Tage hörten, es gäbe einschränkende Vorgaben von der Geschäftsführung, uns der Kontakt mit selbiger aber verweigert wurde, brachte Klärung erst nach mehrfachem Anlauf eine E-Mailkonversation von Geschäftsleitung zu Geschäftsleitung. Wir wurden in voller Zahl an kulturbegeisterten Zwei- und Vierbeinern durch das Schloss geführt und die geschichtlichen Zusammenhänge erklärt. Unser sonst sehr engagierter Guide zeigte lange eine gewisse Befangenheit mit unserer sehr bunten Gruppe und schien unsicher, wie hoch der Anspruch der Führung sein dürfte und ob er ein Auge auf die Hunde haben müsste. Es ist immer wieder irritierend für uns, wie oft geglaubt wird, dass alle behinderten Menschen auch geistig eingeschränkt seien. Er war dann zunehmend beeindruckt, wie artig die Assistenzhunde waren. Gegen Ende der Führung wollte er wissen, ob wir und die Hunde alle zusammen leben würden, denn die seien so ruhig und verstünden sich so gut. Dass wir alle hunderte Kilometer (mmmmh, die beiden Berliner wohnen so weit auseinander, dass das im Stadtverkehr wie hunderte Kilometer zählt) auseinander wohnen, konnte er gar nicht glauben. Da verstanden wir, dass manchmal alle Aufklärung, alle Theorie nichts ausrichten kann. Menschen müssen die Assistenzhunde mit ihren kompetenten Menschen wirklich erleben, um Vorbehalte abzubauen und von Herzen willkommen heißen zu können. Zum Glück ermöglicht Aktion Mensch diese intensive Aufklärungsarbeit. Das war dieses Mal kein leichter Weg, aber wir sind sehr froh, dass ihn beide Seiten gegangen sind. Schloss Corvey ist definitiv ein lohnenswertes Ausflugsziel für Mensch-Assistenzhund-Teams.
Landesgartenschau
Als wir in Höxter ankamen, pfiff ein eisiger Wind vorm Schlosstor und der Hof des Schlosses hatte nichts Romantisches, sondern eher etwas Trostloses im kalten Nieselregen. So fühlt sich Gartenschau nicht an. Die aber sollte nur eine Woche später eröffnen und die Besucher mit einer Blütenpracht empfangen.
Heute wissen wir, dass unsere Fantasie einfach nicht reichte, denn nur wenige Tage nach unserem Besuch, wurde die blühende Oase für den Besucherverkehr freigegeben. Und nicht nur für Besucher, sondern auch für Assistenzhunde. Die Mitnahme des tierischen Hilfsmittels ist immer wieder ein heikles Thema auf dem Gelände von Gartenschauen. Aber hier hatte man sofort Interesse, den Besuch für alle barrierefrei zu machen.
Uns empfingen Mitarbeiterinnen der Gartenschau mit einem Team aus der Region. Assistenzhund willkommen-Aufkleber werden an den Kassenhäuschen zu sehen sein. Klasse! Wenn es nicht schon wieder angefangen hätte zu regnen, hätten wir noch gern länger geschwatzt. Aber man weiß, vielleicht haben diese Tropfen noch das ein oder andere Pflänzchen gedeihen lassen.
Workshop
Kurzfassung: Uns rauchten die Köpfe!
Zunächst setzten wir unseren Kommunikationsworkshop fort, den wir online begonnen hatten.
Wir werteten unsere Erfahrungen aus der Zutrittskampagne und der Welterbekampagne aus, schmiedeten Pläne und prüften diese auch an unseren persönlichen Möglichkeiten. Selbstbestimmt als Mensch mit Behinderung für sich und unsere Sache einzutreten, finden wir selbstverständlich. Die Grenzen, die wir aber aufgrund unserer Einschränkungen annehmen müssen, frustrieren mitunter. Mangelnde behindertengerechte Mobilität bremste uns z.B. in den letzten Monaten sehr aus, insbesondere die Unzuverlässigkeit der DB.
Es brauchte viel Disziplin, sich nicht festzureden in Details. Wir hatten uns lange nicht gesehen.
Es wurden volle Tage. Das gemeinsame Kochen und Essen strömte so viel Gemütlichkeit aus, dass unsere Gäste gern Platz nahmen und blieben. Als wir dann noch den 1. Hilfe Kurs am Hund erfolgreich meisterten, nahmen wir voneinander Abschied. Müde, aber angefüllt mit lauter Plänen.
AktionMenschGefördert #1BarierreWeniger #AssistenzhundWillkommen #Assistenzhund #Inklusion #Barrierefrei @AktionMensch