Ganz selbstverständlich dabei sein – auch mit Assistenzhund, das ist ein Anliegen der Stadt Karlsruhe. Mit dem Anschluss an die Kampagne „assistenzhundfreundliche Kommune“ fördert sie gesellschaftliche Teilhabe und damit die Eigenständigkeit von Menschen mit Behinderung
– Ulrike Wernert, Behindertenbeauftragte der Stadt Karlsruhe
Wenn man den Hauptbahnhof von Karlsruhe verlässt, versteht man heute noch den Markgrafen von Baden-Durlach, Karl Wilhelm , dass er einer Legende nach genau hier zur Ruhe kam und im Wald einschlief.
Was wir bei unserer Ankunft noch nicht wissen: Dieses Gefühl von Ruhe wird uns die ganzen Tage erhalten bleiben. Vielleicht gibt es einen ganz einfachen Grund. Vielleicht liegt es daran, dass diese Stadt mit ihrer Völlerei an Kunst und Kultur mit seinen Bürgern und für seine Bürger plant.
Erschöpft und überreizt von der Bahnfahrt, die mit Assistenzhunden immer ein unfreiwilliges Abenteuer ist, atmen wir durch. Vis a vis befindet sich der Zoo, eine grüne Oase der Stadt. Der Einlass ist lediglich getrennt von einigen Straßenbahngleisen und einem Café, das sich nicht so recht entscheiden kann, ob es sich der behutsamen Geschäftigkeit des Bahnhofvorplatzes zugehörig fühlt oder doch eher der Gartenanlage des Zoos.
Der Zoo Karlsruhe, hier verlassen wir die Chronologie der Ereignisse, ist übrigens sehr assistenzhundfreundlich. Herr Deible hat sich für uns Zeit genommen und führt uns durch die wunderschöne Anlage. In so netter Begleitung machte Aufklärungsarbeit doppelt Spaß. Wir hören nicht zum ersten Mal, dass Institutionen Auseinandersetzungen mit anderen Hundehaltern führen müssen, wenn sie die Zutrittsrechte für Assistenzhunde einräumen. Herr Deible erklärt uns, dass eine genereller Zutritt mit Hunden einfach nicht möglich sei und zeigt uns frei laufende Wasservögel, die den gesamten Zoo als Lebensraum erobert haben. Das dürfte aber nicht der einzige Grund sein, warum lediglich Assistenzhunde auf die Anlage dürfen. Manche Tiere fühlen sich durch unsere Assistenzhunde trotz Abstand tatsächlich gestört. Die Entscheidung des Zoos ist nachvollziehbar. Als wir bei den Pinguinen auf eine Kitagruppe treffen und der Erzieher den Kleinen absolut perfekt erklärt, was Assistenzhunde sind und warum man die nicht stört, ist unser Zoobesuch perfekt.
Dass wir hier über eine U-Bahn berichten, ist ungewöhnlich. Aber die hatte es uns angetan. Genau genommen, fährt in Karlsruhe die kürzeste U-Bahn Deutschlands. Sie verfügt über gute Leitsysteme, ausreichend große Aufzüge, saubere Luft, breite, gut beleuchtete Bahnsteige und ist so sauber, dass es uns recht ist, als sich die Daika, Edda und Mascha bäuchlings auf den Fliesen abkühlen. Edda ist übrigens der charmante Assistenzhund von Ulrike Wernert, der Behindertenbeauftragten von Karlsruhe. Sie begleitet uns durch die Tage. Als wir mit unseren Assistenzhunden einsteigen, passiert etwas, was uns Berliner rührt und erstaunt. Uns werden sofort Plätze frei gemacht und uns wird Hilfe angeboten. Einfach so. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass uns Menschen in Karlsruhe so begegnen.
Wer in Karlsruhe ist, muss natürlich ins Schloss. Es ist das Herz der als Fächer um das Schloss angelegten Stadt. Das Badische Landesmuseum ist hier beheimatet. Wir werden von Frau Radtke erwartet. Assistenzhunde sind im Schloss schon längst gern gesehene Gäste. Eine Selbstverständlichkeit, die in Anbetracht der Schätze von viel Vertrauen erzählt. Und natürlich haben wir mal wieder die Ohren überall. Material in einfacher Sprache wird entwickelt, Frau Wernert ist dafür eine selbstverständliche Ansprechpartnerin. Barrieren muss man erkennen. Sie abzubauen ist etwas, was gelebt werden muss; es ist schwer zu verordnen. Hier wird es gelebt.
Die Karlsburg im Stadtteil Durlach lädt in ihrem Festsaal zu einer Lesung ein. Stefanie Ritzmann liest aus ihrem Buch “Weglaufen? Geht nicht!“ Die Karlsburg wird an diesem Abend auch offiziell assistenzhundfreundlich. Was dann folgt, ist der einzige Wermutstropfen der Karlsruher Tage. Daika und Hannah benötigen ein Taxi, melden den Assistenzhund bei der Bestellung an. Der Taxifahrer kommt, reagiert auf Daikas Existenz mit einem “iiih!“ und lässt die beiden einfach stehen. Dass das nicht nur furchtbar unhöflich, sondern auch verboten ist, versteht sich von selbst.
Karlsruhe hat für seine über 300 000 Einwohner kulturell unfassbar viel zu bieten. Wir sind echte Theaterfans und freuen uns, dass immer mehr Spielstätten unter Barrierefreiheit mehr verstehen, als ein paar Plätze für Rollstuhlfahrer vorzusehen. Das Badische Staatstheater ist eines der Häuser, die Assistenzhunde schon vor unserem Besuch selbstverständlich hinein ließen. Die Frühlingssonne heizt der guten Laune ordentlich ein, als wir die Stufen links liegen lassen und die bequeme Rampe mit den Hunden nehmen. Uns erwartet eine interessierte Runde u.a. mit Johannes Graf-Hauber (Geschäftsführender Direktor), Manuell Müller (Besucherservice) und Ruzica Novak (Kartenservice). Wir freuen uns über Fragen, erklären, woran man einen Assistenzhund zuverlässig erkennt, räumen Befürchtungen aus und erklären nicht zum ersten Mal, dass bei Assistenzhundteams, die durch ihr Verhalten stören, natürlich das Hausrecht greift. Spätestens im Foyer bereuen wir es, dass es unsere Ressourcen nicht hergeben, eine Veranstaltung zu besuchen. Wie gern wären wir hier in einen Kunstgenuss gekommen. Offene Menschen wirken so einladend. Als uns beim Verlassen die Abendsonne empfängt und Daika und Mascha den Weg in unser Hotel suchen, nehmen wir uns vor, dass wir definitiv zurück kommen.
Anlässlich des Europäischen Protesttages zur Gleichstellung der Menschen mit Behinderung findet im Karlsruher Rathaus eine Pressekonferenz statt. Ulrike Wernert, kommunale Behindertenbeauftragte, und Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, erklären offiziell den Kampagnenbeitritt zu “Assistenzhund willkommen”. Dr. Mentrup sieht es als Notwendigkeit, dass Menschen mit Behinderung auf Bedingungen stoßen, die ihnen viel Eigenständigkeit ermöglichen. Dr. Hannah Reuter von den Pfotenpiloten erklärt noch einmal, wie wichtig es ist, dass der kommunale Startschuss für den Zutritt gegeben wird, damit über das positive Beispiel und die Aufklärung in der Berichterstattung auch der privatwirtschaftliche und medizinische Bereich gewonnen wird. Es ist ein reges Interesse zu spüren, einen starken Impuls für die Assistenzhund-Mensch-Teams in der Region zu geben. Wir hören in der Pressekonferenz mit wie viel Bürgerbeteiligung das neue Blindenleitsystem in der Karlsruher Innenstadt umgesetzt, wie Kompromisse verhandelt und gemeinsam Lösungen gefunden wurden. Wir sind uns sicher, dass Assistenzhund-Mensch-Teams in Karlsruhe kaum mehr auf Barrieren stoßen werden, weil Inklusion in dieser badischen Stadt angekommen ist. Das spüren wir im Rathaus, im Schloss, in der U-Bahn, im Restaurant, im Theater, im Zoo. Als wir uns von Edda und Ulrike Wernert verabschieden, bereuen wir die große Entfernung.
Karlsruhe hat uns inspiriert und schickt uns nach Berlin zurück mit der Gelassenheit, dass es ganz leicht sein kann, einfach dazuzugehören.
Haben Sie Lust auf mehr? Hier ist ein Audioausschnitt aus “die neue Welle” – Vanja und der Penz, Karlsruhe. Ein großes Dankeschön geht an “die neue Welle”!
Die Aktion „Assistenzhundfreundliche Kommune“ wurde ermöglicht durch Förderung des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Aktion Mensch.