Wie eine kleine Großstadt uns mit ihrer Weltoffenheit und pragmatischen Herzlichkeit begeisterte
Ein Bericht von Manja Maserati
Am 21.1. 2021 um 12.30 Uhr erklärt sich Hildesheim offiziell assistenzhundfreundlich. Dafür ist eine Pressekonferenz im Rathaus angesetzt. Am alten Rathaus begrüßt uns das Pfotenpiloten-Banner “Assistenzhund willkommen” aus prominenter Höhe. “Wow”, stottere ich, der gepflegten Sprache beraubt.
Aber der Reihe nach. Bevor ich mehr von unserer Hildesheimer Aktion „Assistenzhundfreundliche Kommune“ erzähle, hört doch mal rein, was Radio Tonkuhle (tonkuhle.de) als Beiträge hierzu erstellt hat. Moderatorin Sabine Kuse hat uns nicht nur ins Studio gebeten, sondern auch bei unseren Streifzügen begleitet. Vielen Dank für die tolle Aufklärung!
Wir sind am ersten Abend mit Ulrike Dammann, Inklusionsbeaufttragte und Mitarbeiterin der Stabstelle für Migration und Inklusion in Hildesheim verabredet. Wir haben inzwischen die Erfahrung gemacht, wie entscheidend es ist, dass diese Stellen mit Menschen besetzt sind, die andere mitreißen und begeistern können, mit Menschen, die das Thema Behinderung aus der mitleidigen Helferecke holen und auf selbstverständliche Teilhabe setzen. Dass Frau Dammann eindeutig so ein Mensch ist, war uns schon vor der Anreise klar.
Am ersten Abend im Miara, einem Inklusionsrestaurant mit hervorragender Küche und toller Gastlichkeit, müssen uns die auf ihr Abendessen wartenden Assistenzhunde Daika und Mascha (Labradore neigen bekanntlich zum Hungertod) zum Aufbruch drängen, so sehr hatte uns das Gespräch gefesselt. Wir staunten über tolle Projekte, wie z.B. KulTouren und die sprudelnde Lust, einfach etwas auf die Beine zu stellen.
Als Frau Dammann von der Zutrittskampagne hörte, war es gar keine Frage, die Zutrittsrechte für Assistenzhundteams in Angriff zu nehmen. Aber Frau Dammann wollte genauer wissen, ob es Teams in Hildesheim gibt, wo die künftigen Assistenzhunde in der Region ausgebildet werden, ob es bereits Zutrittsprobleme gab. Sie nahm Kontakt mit Ausbildern auf, fragte beim Finanzamt nach und suchte das Gespräch mit uns. Und ihr war sofort klar, dass auch der Tourismus ins Boot geholt werden müsste. Hildesheim hat nämlich mit dem Dom und der Michaeliskirche nicht nur Weltkulturerbe zu bieten, sondern auch Museen und Kulturstätten mit großartigen Angeboten für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen.
Hildesheim wurde im 2.Weltkrieg schwer zerstört. Aber es wurde einiges so originalgetreu wieder aufgebaut, dass Dom und Michaeliskirche zum Weltkulturerbe gehören. Das Dommuseum unterstützt die Zutrittskampagne und bespricht mit uns noch schwierige Punkte. Und dann werfen wir ein Auge auf den 1000 Jahre alten Rosenstock und den Domschatz. Und natürlich lassen wir uns auch den Dom nicht entgehen. Übrigens ist beides auch mit Rollstuhl gut erreichbar.
Im Theater für Niedersachsen, kurz TfN, erwartet uns eine angenehme Überraschung. Im Beisein des Marketingleiter Herr Rack erklärt der Intendant Herr Graf uns und der Redakteurin von Radio Tonkuhle, dass es im Theater eine eigene Stelle gibt, die mit allen Aufgaben rings um Inklusion betraut ist. Und er sagt etwas, was wir auch immer wieder anmerken, wenn wir um gegenseitiges Verständnis werben.
Es sei wichtig, sich auf den Weg zu machen und wo möglich, Barrieren abzubauen, dass es aber eine völlige Barrierefreiheit oft nicht geben wird. Es gibt manchmal bauliche Grenzen, manchmal technische. Man muss im Gespräch bleiben und manches auch als einen Weg verstehen, den man in verschiedenen Tempi gehen muss. Assistenzhunde sind im TfN willkommen. Bitte vorher anmelden, denn es stehen dafür bestimmte Plätze zur Verfügung, die dann nicht verkauft werden. Übrigens, es gibt auch Vorstellungen mit Gebärdendolmetscher oder Beschreibungen in leichter Sprache.
Sabine Kuse, von Radio Tonkuhle bringt uns vom Theater zum Radiosender. Wir machen es uns gemütlich in den Sesseln und versuchen im Mittagstief noch in kompletten Sätzen zu denken und zu sprechen. Frau Kuse hält uns durch ihre sympathische Art zu fragen bei der Stange und verspricht zu schneiden, was uns durcheinander gerät. Manchmal vergessen wir die Aufnahme, wir plaudern…kommen auch mal vom Thema ab.
Aber vielleicht ist das gut so und genau das, was gute Moderatoren ausmacht. Frau Kuse will eine einstündige Sendung zum Thema Assistenzhund machen. Wir sind total glücklich. Je mehr Menschen davon erfahren, desto einfacher wird es. Arzttermine mit Assistenzhund sind immer noch ein Glücksspiel. Jedes Mensch-Assistenzhundteam kennt Situationen, die einen verzweifeln lassen, weil der Zutritt zur medizinischen Versorgung mit Assistenzhund verwehrt wird.
Es uns ein Anliegen, dass wir in Kommunen, die assistenzhundfreundlich werden, auch Kontakt zu medizinischen Einrichtungen suchen. Das Gesetz ist das eine. Oft braucht es aber auch ein Gespräch, in dem offene Fragen geklärt werden können. Dafür braucht es Raum und die Gewissheit, dass man einander verstehen möchte und nicht nur Fakten austauscht fürs Protokoll. Und manchmal nehmen wir auch eine wichtige Hausaufgabe mit. In Hildesheim öffnen zwei von drei Krankenhäusern ihre Türen. Im Helios-Klinikum schreitet Herr Münkel, der Pressesprecher, sofort zur Tat und platziert den Aufkleber “Assistenzhund willkommen” direkt neben dem Hundeverbotsschild. Mögen dem Beispiel viele Helios-Kliniken folgen.
Im St.Bernward Krankenhaus führen wir ein gutes Gespräch mit der Pflegedienstleiterin Frau Börner und der Pressesprecherin Frau Seiffert. Wir gehen mögliche Szenarien durch und es ist spürbar, wie genau seitens der Klinik mitgedacht wird. Was ist mit dem Assistenzhund, wenn sich sein Teampartner plötzlich gesundheitlich verschlechtert oder wenn er schon so krank eingeliefert wird, dass er sich nicht mehr um seinen Assistenzhund kümmern kann. Wir erklären, dass jeder Assistenzhundhalter eigentlich zwei Notfallkontakte für seinen Hund haben sollte und wo man diese finden kann, falls derjenige nicht mehr ansprechbar ist. Und dann fällt uns auf, dass das wirklich ganz wichtig für ein Krankenhaus ist. Den Mitarbeiterinnen des Krankenhauses ist klar, dass so ein Hund nicht ins Tierheim gehört, aber sie benötigen eine verlässliche Lösung. Das können wir sehr gut verstehen. Danke, dass das so konkret angesprochen wurde. Daher hier unsere Bitte an alle Teams: Bitte am Hund (Kenndecke, Halsband-z.B. in Täschchen für Hundemarken) und/ oder an der Leine gut sichtbar die Notfallkontakte Eurer Hunde mitführen. Ihr helft damit im Notfall Eurem Assistenzhund und entlastet die Mitarbeiter im Krankenhaus.
Leider reicht unsere Zeit nur noch für ein Museum. Also auf ins Roemer-und Pelizaeus- Museum. Falls hier noch jemand fragt, wer war Pelizaeus, dem können wir helfen. Wilhelm Pelizaeus war erfolgreicher Kaufmann und Konsul in Ägypten und schenkte seine ägyptische Sammlung der Stadt Hildesheim. Das Museum beherbergt nicht nur eine ägyptsiche Sammlung, sondern hier sind auch immer wieder aktuelle Ausstellungen zu finden. Zur Zeit lohnt ein Besuch der Ausstellung “Seuchen” oder die Fotoausstellung “Now you see me Moria”. Übrigens überrascht uns auch hier eine selbstverständliche Barrierearmut. Für Blinde und Sehbehinderte gibt es Handlaufbeschriftungen und Beschilderungen in Braille. Es gibt Führungen für Menschen mit Hörbehinderungen und Sehbehinderungen und Führungen in einfacher Sprache. Wir sind mit Frau Prof. Schulz, der Direktorin, und dem Marketingleiter Herr Riebsamen verabredet.
Bei Schneesturm überreichen wir den Aufkleber vor der Tür und brauchen dringend ein Heißgetränk im Museumscafe’. Obwohl Daika und Mascha reichlich Platz wegnehmen, werden wir freundlich bedient. Im Luxor-Shop erwerben wir noch einen Plüsch-Virus (thematisch der Seuchenausstellung zugeordnet) und treffen auf einen überaus geduldigen Mitarbeiter, der uns ganz und gar vertraut in Anbetracht der wedelnden Ruten auf Auslagenhöhe. Und während Hannah noch einmal die virale Farbauswahl überdenkt, fällt mir auf, dass den ganzen Tag noch kein Mensch unfreundlich war.
Es klingt so wohltuend selbstverständlich, dass bei striktem Hundeverbot Assistenzhunde natürlich willkommen sind. Und schnell merken wir, dass die größte Herausforderung so freundlicher Menschen darin besteht, unsere tierischen Assistenten nicht zu streicheln.
Zurück zur Pressekonferenz. Wir gehen gemeinsam in den großen Saal. Es ist nicht nur die Presse erschienen und das Radio, sondern auch Vertreter der Hildesheimer Politik, des Tourismus und des Einzelhandels. Es gibt eine offizielle Presseerklärung. Wir beantworten Fragen.
Ich lasse die letzten Tage für mich Revue passieren. Unser Hotel Stadtresidenz, das sich als durch und durch assistenzhundfreundlich erwies, hatte so umsichtige Mitarbeiter, dass wir mit unseren Einschränkungen im Alltag gut zurechtkamen. Man half uns selbstverständlich mit dem Gepäck, unsere Assistenzhunde übernachteten kostenlos und durften trotz Hundeverbot mit in den Frühstücksraum.
Die herzliche Mitarbeiterin mit der Hundeangst traute sich mutig an unseren Tisch und vertraute uns, als wir sagten, dass Daika und Mascha ganz ruhig liegen bleiben würden, auch wenn sie näher käme. Am Abreisetag klebte der Aufkleber “Assistenzhund willkommen” an der Eingangstür. Im Rewemarkt Gravelottestraße 1 war man geduldig mit unserem Doppelgespann, welches natürlich Raum einnahm. Kein einziger Mitarbeiter wurde unfreundlich. An der Kasse fragte man ganz zurückhaltend, ob man ein Foto machen dürfe. Das Testzentrum am Theater blieb gelassen als wir den kleinen Rau füllten. Die Kaffeerösterei Schuler, die ein Hundeverbotsschild an der Tür hat, ließ uns nach einer Erklärung sofort ein und fragte interessiert nach. Und ein Mitarbeiter kam uns sogar hinterher, als wir in die falsche Richtung liefen. Tage voller freundlicher Menschen. Obwohl einige noch nie von Assistenzhunden gehört hatten, wehrten sie uns nicht ab, sondern fragten höflich nach.
Die Pressekonferenz endet mit einem Fototermin an der Tür des neuen Rathauses. Der Aufkleber findet seinen Platz. Und wo man schon mal da ist, gehen wir alle noch rüber in die Touristeninformation. Wir sind glücklich und erschöpft von den Tagen. Die beiden canis perfecti (den Titel haben sie nicht von uns bekommen, aber wir stimmen dem still zu) posen ein letztes Mal für eine wichtige Mission.
Auf dem Weg zum Auto begleitet uns Frau Dammann. Wir begegnen Menschen, die das Banner gesehen haben und nachfragen. Wir erleben eine Inklusionsbeauftragte, die ganz nah bei den Bewohnern der Stadt ist. Ich werfe einen letzten Blick hoch zum Rathaus, dahin, wo das Banner hängt und Bescheid sagt. Und dann denke ich: “Da hast du es richtig platziert, liebes Hildesheim. So haben wir dich in den vergangenen Tagen erlebt. Das ist ganz und gar authentisch, tolerant und freundlich. Eine Willkommensstadt. Wir erzählen es weiter und kommen gern wieder.”
Die Aktion „Assistenzhundfreundliche Kommune“ wurde ermöglicht durch Förderung des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Aktion Mensch.