Gruppenfoto Veranstaltung zum Assistenzhund-Gesetz

Deutschlands Assistenzhund-Gesetz

Am Donnerstag, 22. April, 2021 um 13 Uhr wurde das lange ersehnte Assistenzhund-Gesetz als Teil des Teilhabestärkungsgesetzes beschlossen. CDU/CSU, SPD und AfD nahmen den Entwurf der Bundesregierung für ein Teilhabestärkungsgesetz

(19/27400) in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geänderten Fassung (19/28834) mehrheitlich an, bei Enthaltung von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.

Gruppenfoto Veranstaltung zum Assistenzhund-Gesetz
Es war ein langer Weg – hier einige der Engagierten bei der Info-Veranstaltung der SPD-Fraktion im Bundestag. Besonderen Dank gebührt hier Frau Staatssekretärin Kramme, die sich unermüdlich und leidenschaftlich für Assistenzhund-Teams einsetzt.

Wir begrüßen das Assistenzhund-Gesetz – besonders auch, dass die Zutrittsrechte den zentralen Fokus des Gesetzes bilden und auch privatwirtschaftliche Orte in die Regelung explizit mit eingeschlossen sind.

Im Gegensatz zum österreichischen Messerli-Gesetz, das sich ausschließlich mit Prüffragen und dem Messerli-Monopol beschäftigt, liegt hier der Fokus auf den Rechten der Assistenzhund-HalterInnen und etabliert eine klare Verpflichtung aller öffentlichen Orte zur Barrierefreiheit. Wir finden auch gut, dass das Gesetz einen gesunden Fokus auf Qualitätssicherung legt, während für einen Bestandsschutz für existierende Teams ebenfalls gesorgt werden soll.

Allerdings stellt das Gesetz zunächst einen ersten Rahmen dar, der nun durch die Rechtsverordnung mit Details gefüllt werden muss.

Am Montag, den 19. April waren die 1. Vorsitzende der Pfotenpiloten, Roswitha Warda, und Thomas Hansen von Associata Assistenzhunde e.V. als Sachverständige zur Anhörung des Arbeitsausschusses für Arbeit und Soziales geladen worden. Über Zoom gab es vielfältige Gelegenheit, Fragen der Abgeordneten zu beantworten. Dadurch sind Änderungen zum Gesetzesentwurf möglich geworden, wenn auch leider nicht alle von uns gewünschten.Beiträge zum Thema Assistenzhund finden sich ab Minute 6 und dann wieder ab Minute 63 in diesem Video:

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Blindenführhunde SIND Assistenzhund

Ein sehr bedenklicher Satz war nach dem Referentenentwurf überraschend in das Gesetz geschlüpft.
Dort stand nun auf einmal in § 12e (6):

Blindenführhunde, die als Hilfsmittel im Sinne des § 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gewährt worden sind, sind keine Assistenzhunde im Sinne dieses Gesetzes.

Diese Formulierung wäre natürlich höchst unangemessen und schlichtweg falsch gewesen. Sie wäre außerdem unvereinbar mit der sich entwickelnden europäischen Norm CEN/TC 452 “Assistenzhunde” und dem modernen globalen Selbstverständnis des Sektors.

In vielen eingereichten Stellungnahmen, unter anderem auch vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV), wurde die hier vollzogene Spaltung abgelehnt. Sie hätte in der Praxis bedeutet, dass die gesetzliche Kennzeichnung anderen Assistenzhunden zustehen würde, Blindenführhunden aber nicht.
Die bundesweite Zutrittskampagne, die Pfotenpiloten gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) seit 2018 durchführt, hat uns eines gelehrt:

Eine einfache, einheitliche Antwort auf die Frage „Woran erkenne ich einen Assistenzhund?” ist das wichtigste Element für öffentliche Akzeptanz. 
Wäre Absatz 6 in dieser Form bestehen geblieben, hätte er heillose Verwirrung rund um die Zutrittsrechte und neue Barrieren erzeugt.
Glücklicherweise wurde im finalen Gesetz dieser Absatz geändert. Nun lässt die Wortwahl sogar offen, dass auch andere Assistenzhunde “als Hilfsmittel im Sinne des § 33 des Fünften Buches gewährt werden” könnten.
Diese von der Krankenkassen gewährten Assistenzhunde sind von großen Teilen des Gesetzes ausgenommen, nicht aber der Kennzeichnungspflicht. Damit werden alle Assistenzhund, einschließlich der Blindenführhunde, in Zukunft einheitlich gekennzeichnet sein. Der neue Text lautet:

Für Blindenführhunde und andere Assistenzhunde, die als Hilfsmittel im Sinne des § 33 des Fünften Buches gewährt werden, finden die §§ 12f bis 12k und die Vorgaben einer Rechtsverordnung nach § 12l Nummer 1, 2 und 4 bis 6 keine Anwendung.

Was im Assistenzhund-Gesetz noch fehlt

Finanzierung der Teamprüfungen

Leider waren die Abgeordneten nicht davon zu überzeugen, dass die Prüfkosten bei selbstfinanzierten Teams, bei denen kein Leistungsträger die Prüfkosten übernimmt, übernommen werden müssen.
Wir finden es sehr ungerecht, wenn Assistenzhund-HalterInnen, die sich schon ihr Leben mit Assistenzhund unter großen Opfern erarbeitet haben, hier noch einmal tief in die Tasche greifen müssen. Es ist im Interesse der Öffentlichkeit, das Assistenzhund-Konzept vor Missbrauch zu schützen. Darum sollte es selbstverständlich sein, dass die Kosten hierfür von der Regierung übernommen werden.

Unsere neu gegründete Stiftung Assistenzhund wird – sobald das Corona-bedingt wieder möglich ist – die Pilotphase ihres Prüfungskonzepts fortsetzen.

Während der Pilotphase sind die Prüfkosten von der Postcode Lotterie gefördert.

Es sind noch einige wenige Plätze frei, danach wird eine Warteliste geführt. Teams können sich auf www.stiftungassistenzhund.org unverbindlich unter dem Menüpunkt “Evaluierung” anmelden.

Fokus der Studie

Obwohl das realitätsferne Konzept der “100 Welpen” so nicht mehr im Gesetz steht, bleibt die Studie sehr auf die Details des Gesetzes ausgerichtet, auf Anschaffung, Ausbildung und Haltung von Assistenzhunden. Leider sind es aber nicht Fragen der Kosten und der Ausbildungsdetails, die es zu lösen gilt, denn einen Einheitspreis oder Uniformität wird es in diesem Bereich nie geben. Die großen Fragen im Assistenzhund-Sektor sind in einem anderen Bereich angesiedelt: Nicht bei den Kosten, sondern bei Fragen der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit.
Will man die Situation von Assistenzhund-Teams – und besonders auch ihre Finanzierung – langfristig verbessern, braucht man zunächst aussagekräftige Studien, die eine große Zahl von validierten Teams einschließen.

Diese Gelegenheit wäre hier gegeben gewesen.
Doch obwohl immer wieder von vielen Seiten darauf hingewiesen wurde, wurde hier eine historische und weltweit einzigartige Chance verspielt, zentrale Fragen des Assistenzhund-Konzepts umfassend zu beantworten.
Selbstverständlich kämpfen Pfotenpiloten und die Stiftung Assistenzhund weiterhin für wissenschaftlich fundierte Antworten zu den Fragen bzgl. Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des Assistenzhund-Konzepts, aber die Chance, dieses Ziel durch die im Assistenzhund-Gesetz verankerte Studie zu erreichen, ist zunächst verflossen.
Wenn Sie die wissenschaftliche Validierung des Assistenzhund-Sektors so wichtig finden wie wir, unterstützen Sie bitte unsere Arbeit

Eine gute Rechtsverordnung

Gelangt die Unterschrift des Bundespräsidenten nun zügig unter das Assistenzhund-Gesetz, könnte es evtl. schon zum 1. Juli in Kraft treten – ansonsten zum 1. Oktober 2021. Es wird danach sicher noch eine Weile dauern, bis die Rechtsverordnung und die im Gesetz geforderten DAkkS-Strukturen erstellt sind. Man darf sich also auf eine längere Übergangsphase einstellen, in der besonderes Augenmerk auf einen guten Bestandsschutz bei gleichzeitigem Schutz vor Missbrauch gelegt werden sollte.