Eine Zeche soll Weltkulturerbe sein? Das rote Doppelbockfördergerüst der zeitweise weltgrößten Zeche ist weithin sichtbar und steht für Nichtpottler (Menschen, die nicht aus dem Ruhrgebiet kommen) fast klischeehaft für die Förderung der Steinkohle im Ruhrgebiet.
Als ich vor vielen Jahren das erste Mal als Berlinerin das Ruhrgebiet erkundete, verabschiedeten sich viele Klischees und wichen einem realeren Bild einer Region, die in einem großen Wandel steckt. Gezeichnet von einst schwerster körperlicher Arbeit bis zu 1000 m unter der Erde, Schmutz (die graue Weißwäsche auf der Leine draußen) und Zerstörung vieler Städte im Krieg, sucht der Pott eine neue Identität.
Ruhr 2010 machte das ganze Gebiet zur Kulturhauptstadt und brachte den sprichwörtlichen Glanz in manch alte Hütte und tote Halde. Wo man in Berlin im barocken Saal der Kunst lauscht, kann man es hier auf Zeche. Das Alte blieb, erzählt seine Geschichte im Hintergrund und lässt Neues erleben. Es ist grün geworden um all die Zechen und Halden, sehr grün. Viel grüner, als man sich das aus der Ferne mit den alten Klischees im Kopf vorstellen kann. Und all das erzählt Zeche Zollverein, UNESCO Weltkulturerbe.
Eigentlich bräuchte man zwei bis drei Tage, um genug zu sehen, zu hören, zu riechen, zu staunen und um nachzudenken. Und in den Sommerferien auch um sich zu erfrischen, denn in der früheren Kokerei gibt es auch ein ganz besonderes Badebecken und auch dahin darf man mit Assistenzhund, das sei schon einmal vorweggenommen.
Verabredet bin ich mit Silke Ladnar-Duckwitz am Fuße der tausendfach fotografierten Rolltreppen, die zum Besucherzentrum führen. Wir hatten uns schon per Mail ausgetauscht und dass diese Welterbestätte einen weiteren Schritt zur Barrierefreiheit nehmen will, war sofort klar. Und darum startete unsere Verabredung direkt mit dem Anbringen des „Assistenzhund willkommen“ Aufklebers. Die Rolltreppe können wir mit Assistenzhund natürlich nicht nehmen. Wir nehmen den Aufgang mit Aufzug und Frau Ladnar-Duckwitz bringt auch an diesem Eingang noch einen Aufkleber an. Sicher ist sicher.
Wir reden über den weiten Weg zur Barrierefreiheit, dass es eben viel mehr ist, als Rampe und Aufzug. Ich merke, dass ich die nächsten Stunden neben einer kompetenten Gesprächspartnerin in allen Belangen der Inklusion die Gebäude erkunden darf. Sie kennt schon einige Schwachstellen, weil sie sich selbst einen Tag in den Rolli gesetzt hat, um gängige Wege entlangzurollen.
Barrierefreiheit ist ein Prozess: Es ist ein Wollen und ein Tun, kein Zustand, der am Tag X eintritt. Wir haben es hier mit ganz alter Indrustriekultur zu tun und es ist wirklich an manchen Stellen schwierig, für alle eine Lösung zu finden. Was ich aber den ganzen Nachmittag spüre, ist ein unglaublich großer Wille, das so gut es geht umzusetzen.
Mein Fazit: Ihr kommt um eine Begleitperson vermutlich nicht drumherum. Ich würde sie unbedingt empfehlen, denn nicht alles ist einfach zu finden, auch nicht für einen Blindenführhund. Ich bin zwar nicht mit dem Rolli on Tour, sondern mit dem Laufrad, aber auch damit bin ich dankbar, dass manche Tür aufgehalten wird. Und wie ergeht es Mascha?
Mascha feiert zunächst das Außengelände. Und, ehrlich gesagt, ich finde es auch traumhaft. Dass auch so riesig ist, dass man mit einem kleinen Bus von Station zu Station fahren könnte, lässt ein wenig die Dimension erahnen. Die Bahn gehört nicht direkt zur Zeche Zollverein, sondern einem touristischen Partner. Der wird zeitnah über Assistenzhunde aufgeklärt. Mit Rolli ist die Bahn nutzbar.
Es gibt genug Bänke und da die Gastronomie auch ohne Zugang über die Zeche zugänglich ist, könnte ein erster Tag gut und gerne auf dem Außengelände verbracht werden. Mascha darf überall mit. Trotzdem gibt es einige Stellen, die wir besser ausgelassen haben. Dazu unten mehr.
Wir sehen uns nur einen kleinen Teil der Zeche an. Mehr schaffen wir schlicht und einfach nicht. Und wir führen tolle Gespräche, damit alles gut vorbereitet ist für künftige Besucher mit Assistenzhund. Wir sitzen mit Patrick Görisch aus dem Besucherzentrum zusammen und erörterten die Besonderheiten für „Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften“ bei kulturellen und gastronomischen Events mit dem Leiter des Veranstaltungsmanagements, Dirk Scheffler. Es ist ein großartiges Gefühl, wenn einander zugehört und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird.
Gerade in den Sommermonaten finden tolle Veranstaltungen auf dem Gelände statt. Es lohnt sich, die Website gut zu durchforsten.
Lesungen, Konzerte und kulinarische Erlebnisse in spannender Kulisse.
Auf unserem Rundgang erkunden wir zuerst das Ruhrmuseum. Unsere Zeit reicht nur für einen kurzen Überblick. Mit Assistenzhund ist es hier kein Problem. Rollifahrer sollten an manchen Ecken aufpassen, denn die Schaukästen sind z.T. in Kopfhöhe. Das hat aber auch Frau Ladnar-Duckwitz sofort gesehen und notiert. Manche Räume sind etwas dunkel, wer damit ein Problem hat, sollte auf Begleitung setzen.
Die nächste Station ist echt aufregend. Wir gehen einen kleinen Teil der Führung Denkmalpfad Zollverein-Zeche mit. Es werden verschiedene Führungen angeboten. Auch in der Kokerei gibt es ein Angebot. Wer gut zu Fuß ist mit seinem Assistenzhund und wenn dieser ohne Probleme auch mal über ein Gitter läuft (oder habt für diese Treppen eine längere Decke dabei) sollte sich diese Führung nicht entgehen lassen. Es riecht sofort nach Zeche, es riecht nach Arbeit und jedes Geräusch ist Teil einer Industriegeschichte. Der Kohlestaub ist noch original 😉 und mit ein bisschen Fantasie hört man die Kumpel rufen und die Loren rattern. Für mobilitätseingeschränkte Menschen mit Assistenzhund sind diese Führungen nicht geeignet. Aber dafür gibt es ein anderes Angebot, was wir an diesem Tag nicht mehr selbst testen können. Es hört sich aber großartig an.
Die Alternative für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und ohne Assistenzhund könnte die Tour „Grubenlicht und Wetterzug“ in der Untertagewelt Zollverein sein. Es geht dabei nicht wirklich unter Tage, dies wird nur simuliert. Wir werden diese Tour auf alle Fälle noch ausprobieren, weil wir definitiv wieder kommen werden.
Unser Nachmittag endet im „Portal der Industriekultur“. Dort gehen wir in das neue 360 Grad Kino. Assistenzhunde sind natürlich willkommen, aber es wird laut und manchmal dreht sich alles ein wenig. Der Film ist beeindruckend und zeigt besonders den Aufbruch der Region nach der Kohle. Mascha störte sich nicht an dem medialen Großaufgebot und behält mich gut im Blick, wie ich das verkrafte.
Wir sind angefüllt mit so vielen Eindrücken, und begeistert von der Freundlichkeit, die uns entgegengebracht wird. Wir sind so richtig willkommen als Team – Mascha und ich. Mascha mit ihrem Kohlenstaubpopo schläft schon, als wir vom Parkplatz fahren. Danke an Zeche Zollverein und besonders an Silke Ladnar-Duckwitz.
Die Aktion „Assistenzhundfreundliche Kommune“ und assistenzhundfreundliche UNESCO-Weltkulturerbestätten wird gefördert von der Aktion Mensch.